„Atomkraft – Der deutsche Sonderweg“ betitelt die FTD ihren Kommentar zu den neuesten britischen Ausbauplänen für Atomkraftwerke. Als „klimafreundliche Übergangstechnologie“ wird die Nuklearenergie da wieder bezeichnet. Auch kritische Journalisten, denen man kein eigenes Interesse nachsagen braucht, sind auf diesen Argumentationszug aufgesprungen. Er transportiert eine nun schon Jahre währende, sich nun skandalisierende Einstiegsdebatte. Man setzt unsere Zukunft aufs Spiel.
Um die Problemstellung zu veranschaulichen, sei auf das jüngste Beispiel aus Namibia verwiesen. Dort steht mindestens eine neue Uranmine zur Erschließung an. Der Erzgehalt war bisher mit 0,3% um ein Vielfaches zu niedrig, um die Mine ausbeuten zu können. Wegen der deutlichen steigenden Nachfrage – und im Hinblick auf die kursierenden Neubaupläne – soll diese Mine nun erschlossen werden. Dem stellt sich allerdings ein Hindernis entgegen. Uranminen haben einen extremen Wasserbedarf, um aus dem geförderten Gestein das Erz auszuwaschen. An Wasser mangelt es vor Ort jedoch deutlich. Die Mine befindet sich in der Namib-Wüste.
So denkt man daran, den Weg zu gehen, den man nimmt, wenn Energie im Überfluss zur Verfügung steht: Meerwasserentsalzung. Jedoch hat Namibia kein Öl wie die reichen Golfstaaten, die mit Ölkraftwerken problemlos ihre Wasserversorgung sichern. Also plant man, an der namibischen Küste ein Atomkraftwerk zur Meerwasserentsalzung zu bauen. Womit ein aberwitziger Kreislauf in Gang gesetzt wäre: In einer menschenleeren Wüste wird Energie erzeugt, das damit entsalzte Wasser mit gemahlenem Urangestein versetzt und als strahlender Abfall in die Wüste entleert, während das Uranerz in den Industriestaaten aufbereitet wird. Was Namibia davon bleibt, sind (a) ein sinnloses Atomkraftwerk in der Wüste, (b) ein riesiges, staubiges Loch in der Erde und (c) in der Sonne trocknende Seen mit uranverseuchtem Wasser. Dieses wird nie wieder ein Mensch oder ein Tier trinken dürfen.
Soll so die Lösung der Uranbeschaffung aussehen? Werden nun in Kanada und Australien immer neue, immer größere, immer mehr Uranstaub in die Biosphäre emittierende Minen gebaut? Der „Atomic Atlas of Canada“ von Gordon Edwards (Text) und dem Fotografen Robert Del Tredeci gibt uns einen Eindruck davon, was es heißt, wenn ein riesiges Land seine Kindern eine verseuchte, auf immer unbewohnbare Lebenswelt zurücklässt. Die Dokumentation ist umfassend und spricht für sich
( www.ccnr.org ) .
Was es nun heißt, wenn überall auf der Welt neue Minen, neue AKWs, neue Versorgungswege, neue Strahlungsquanten, neue Katastrophengefahren, neue politische Konflikte entstehen, kann man sich ausmalen. Doch: Geht es den Atomfreunden nicht um Klimaschutz?
Es kann kein Klimaschutz sein, wenn die Biosphäre verseucht wird und wir unseren Nachfahren eine unbewohnbare Erde hinterlassen. Klimaschutz will die Erhaltung der Biodiversität. Es gibt kein anderes Ziel. Sicher, der Weg dorthin heißt Vermeidung von Emissionen. Aber wir wollen diese nur vermeiden, weil wir die Folgen der Erderwärmung fürchten: Dass der Planet die Menschen mit seinen Wetterkatastrophen abwirft. Dass das Ökosystem kollabiert, weil es das Tempo des Wandels nicht nachvollziehen kann. Dass die Arten sterben. Dass die Photosynthese, unsere Ernährungsgrundlage, gefährdet ist.
Nicht CO2-Emissionen sind Bio-Killer, sondern deren Folgen: Treibhauseffekt und Erderwärmung zerstören das evolutionäre Gleichgewicht der Biozenose. Wir leben inmitten eines nie dagewesenen Artensterbens mit unabsehbarem Ausgang. Es sieht nun so aus, als ob um eines Nullsummenspiels willen ein weiterer Bio-Killer das Artensterben beschleunigt. Weltweit werden nach Angaben von World Nuclear Association (WNA) 30 neue Reaktoren gebaut, während sich 70 in Planung befinden. Unter diesem Szenario rechnen Analysten damit, dass die Kernenergie so stark wachsen wird, wie der Energieverbrauch. Und: Der Anteil der Kernenergie an der gesamten Stromerzeugung wird bei 16% stehen bleiben!
Dabei wird die Emission von radioaktiven, sämtlich risikoreichen Isotopen um fast das Doppelte ansteigen. Alle diese Isotope sind Fremdkörper, die in die evolutionären Abläufe eingreifen. Ihre konkreten Wirkungen auf die Keimbahn (unsere genetische Zukunft) sind oft unbekannt, im Falle von abgereicherten Uran (massenhaft anfallendem Abfallstoff der Uranaufbereitung für Brennstäbe und Waffen) inzwischen bekannt. Hier sind entsetzlichen Missbildungen dokumentiert.
Nur um einen Stillstand in der Stromversorgung zu erreichen, ist der Preis einer neuen, globalen Atomwirtschaft viel zu hoch. Sie ist an sich schon nicht nachhaltig. Sie nun um eines angeblichen Klimaschutz-Effektes willen ausbauen zu wollen, ist nichts anderes als das Eingeständnis, dass man den konsequenten Ausbau der Erneuerbaren Energie nicht will oder wagt. Gesicherte, geprüfte, vernünftige Szenarios aller Institutionen weisen nach, dass für sie der Weg offen steht. Sieht man jedoch genauer hin, wird offenbar, dass ihr Ausbau zu langsam vorankommt. Die Gründe dafür wird das energiewerk an dieser Stelle kritisch nachverfolgen.
Doch fest steht:
Mit einer global wachsenden Akzeptanz für den Ausbau der Nuklearenergie setzen wir die Zukunft des Planeten als unsere Lebenswelt aufs Spiel. Ohne einen Fortschritt zu erreichen, verdoppeln wir die Risiken.
Es geht also ums Ganze, das Überleben, nicht weniger. Dafür lohnt sich jede Arbeit.